Film „11.908“ und die Dokumentation zum Film von Eva Kneer

Eine Veranstaltung zum Gedenken an das Novemberpogrom von 1938.

Am 09.November 2022 um 18:30 Uhr im Mal Seh´n Kino mit anschließendem Gespräch.

Adlerflychtstr.6, Hinterhaus, 60318 Frankfurt (Nordend)

 

„11.908“, 16mm Schwarz/Weiß Negativfilm, digitalisiert, vertont, 10:48 Minuten, 2020

Die Dokumentation zum Film von Eva Kneer, 17:21 Minuten, 2021

 

 

Dieser Film entstand aus dem Gedenkprojekt

„Schreiben gegen das Vergessen“

Über 300 Menschen, davon 125 Schülerinnen und Schüler schrieben an fünf Tagen, vom 23.-27.08. 2020, die Namen der 11.908 ermordeten Frankfurter Jüdinnen und Juden auf den Mainkai in Frankfurt am Main, mit weißer Schulkreide. Von jedem Namen wurde mit einer analogen Filmkamera ein Einzelbild gemacht.

Regie: Margarete Rabow

 

Film „11.908“ und die Dokumentation zum Film von Eva Kneer

Eine Veranstaltung zum Gedenken an das Novemberpogrom von 1938.

Am 09.November 2021 im Mal Seh´n Kino mir anschließendem Gespräch.

Adlerflychtstr.6, Hinterhaus, 60318 Frankfurt (Nordend)

11.908“, 16mm Schwarz/Weiß Negativfilm, digitalisiert, vertont, 10:48 Minuten, 2020

Die Dokumentation zum Film von Eva Kneer, 17:21 Minuten, 2021

Dieser Film entstand aus dem Gedenkprojekt

„Schreiben gegen das Vergessen“

Über 300 Menschen, davon 125 Schülerinnen und Schüler schrieben an fünf Tagen, vom 23.-27.08. 2020, die Namen der 11.908 ermordeten Frankfurter Jüdinnen und Juden auf den Mainkai in Frankfurt am Main, mit weißer Schulkreide. Von jedem Namen wurde mit einer analogen Filmkamera ein Einzelbild gemacht.

Regie: Margarete Rabow









Selbststudium von Clara Cohen

Clara hat am ersten Projekttag mit geschrieben, besuchte die Filmpremiere im jüdischen Museum und schrieb über ihre Erfahrungen im Rahmen ihres Studiums der Theater-, Film- und Medienwissenschaften bei Prof.
Rembert Hüser, diese Arbeit.
Vielen Dank hierfür!

Schreiben gegen das Vergessen

Margarete Rabows Kunstprojekt an die Erinnerung der 11.908 deportierten Juden Frankfurts: Zwischen bürokratischer Entmenschlichung und Wiederherstellung der Menschenwürde

I. Einleitung

Damit das Menschheitsverbrechen der Shoah nicht wieder geschehe, muss erinnert werden, auch wenn es bald keine Zeitzeugen mehr geben wird. Visuelle Medien, die Vermittlung von Erinnerung über Bilder (statische, dynamische sowie digital erzeugte), werden dabei zukünftig eine immer stärkere Bedeutung gewinnen. Sie dienen dazu, das Geschehene zu vergegenwärtigen und es dem Vergessen zu entreißen.1

Dieses Selbststudium hat das 2020 begonnene und mit der Filmpremiere am 11. Juli 2021 abgeschlossene Gedenkprojekt Schreiben gegen das Vergessen von Margarete Rabow begleitet und wird es im Folgenden zusammenfassen und auswerten. Die Motivation dieses Selbststudiums war meine eigene Teilnahme an dem Projekt, weshalb persönliche Erfahrungsberichte mit in die Arbeit einfließen werden. Überdies soll ein Vergleich angestellt werden, zwischen dem kaltblütig-bürokratischen Erfassen, Verschleppen und Ermorden der Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten, und dem würdevollen Gedenken an die 11.908 deportierten Jüdinnen und Juden Frankfurts beinahe ein Jahrhundert später.

Mithilfe des Werkes Die restlose Erfassung2 der beiden Historiker Götz Aly und Karl Heinz Roth soll der Versuch unternommen werden, zu verstehen, weshalb Schreiben gegen das Vergessen für die Nachwelt von Bedeutung ist, unter der Prämisse, dass in naher Zukunft keine Zeitzeugen mehr aus erster Hand an die Verbrechen der Shoah erinnern können. Die zahlreich verwendeten und teils rein zweckmäßigen, teils künstlerisch wertvoll konnotierten Medien sollen bei der Herausarbeitung der Wichtigkeit dieses Kunstprojektes eine wesentliche Rolle spielen.

II. Margarete Rabows Schreiben gegen das Vergessen

Wie könnte Gedenken aussehen, wenn bald alle Zeitzeugen verstorben sind? Und wie gelingt dies, um eine möglichst viele Menschen zu erreichen und sie gemeinsam in ein Gedenkprojekt einzubinden? Wie kann auf eine weitere Art das Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen sichtbar gemacht werden?

Mit diesen Fragen und dem Spruch „Schreiben Sie mit!“3 möchte Margarete Rabow auf ihrer offiziellen Webseite auf ihre Kunstaktion Schreiben gegen das Vergessen aufmerksam machen: Eine Kunstaktion, die von Rabow bereits im Juni 2018 in Wien ins Leben gerufen und in die Tat umgesetzt wurde und die ebenfalls ein halbes Jahr später einen Film namens 66.000 hervorbrachte.4

Die Fotografin, Filmemacherin und Initiatorin des Projekts Margarete Rabow5 ist selbst väterlicherseits von der Shoah betroffen, da ihr Großvater von den Nationalsozialisten ermordet, ihr Vater und seine Brüder in Lager abgeschoben wurden. Ihr Anliegen ist das nächste, was wir nach unserem Körper ein Leben lang besitzen, unseren Vor- und Nachnamen, eng verknüpft mit unserer Identität, aufzuschreiben und somit die Verantwortung, wenn auch nur für einen kurzen Moment, für diesen einen Namen zu tragen.6

Selbst sagt sie über ihre Projekte: „Meine Arbeiten […] beschäftigen sich häufig mit dem individuellen und gesellschaftlichen Erinnern. […] In meiner künstlerischen Verarbeitung dieser Themen stecken offensive Trauerarbeit und Konfrontation mit gesellschaftlichen Automatismen von Anpassung und Verdrängung.“7

Das erneut angesetzte Projekt für die Erinnerung an die 11.908 namentlich bekannten Jüdinnen und Juden Frankfurts ein Jahr später im Sommer 2020 fand in der Zeitspanne von einer Woche statt: Am Mainkai in Frankfurt wurde von Sonntag, dem 23. August bis einschließlich Donnerstag, dem 27. August jeweils fünf bis sieben Stunden täglich mit über 300 Freiwilligen geschrieben. Alle 11.908 erfassten Namen der Frankfurter Opfer des Holocaust sollten auf den zwei Fahrstreifen für fünf Tage zu lesen sein. Es ging darum, die knapp 12.000 Namen mit weißer Schulkreide kniend auf dem Asphalt festzuhalten.

Bei Regen – und diesen gab es nur an einem Tag – wurde die Aktion in einen Innenraum verlegt, so dass trotzdem das Pensum aller zu schreibenden Namen dieses Tages erreicht werden konnte. Im Anschluss an das Schreiben wurden an jedem Tag alle Namen mit einer analogen Kamera auf 16 mm abgelichtet, auch aus der unmittelbaren Vogelperspektive und auch als Einzelbild. Diese Namen wurden vorher ebenfalls einzeln – wenn auch dieses Mal nicht wie auf der Straße weiß auf grau, sondern schwarz auf weißem Papier – abgeschrieben. Diese feine Änderung konnte in dem Film für einige Sekunden vom Auge wahrgenommen werden, bis diese ca. 2000 Namen des Regentags nach einigen Sekunden wieder von den Asphaltnamen abgelöst wurden.

Zusätzlich wurde ein Zelt mit allen benötigten Utensilien aufgebaut, für schwarze Knieschoner und orangefarbene Warnwesten für jeden Schreibenden war gesorgt. Nach einer kurzen Einweisung, wie mit der Schablone umzugehen sei, durfte das Schreiben beginnen.

Dafür bekam jeder Schreibende jeweils eine Pappschablone, an der eine Liste mit 60 Namen und eine Box mit Kreide angeheftet waren. Bis zu einer Stunde konnten die Freiwilligen schreiben, bevor sie abgelöst wurden. Die Schablone fungierte als eine Art Einrahmung, mit deren Hilfe jeder den zu schreibenden Namen in die Mitte des eingerahmten Stückes Asphalt schreiben konnte. Wenn der erste Name der Liste im vorgegebenen Feld geschrieben wurde, musste das obere Ende der Rahmung an den untersten Rand des zuvor geschriebenen Nachnamens gelegt und neu angesetzt werden. Die vorgeschriebenen Kreidespalten von Rabow und ihren assistierenden Künstlerkollegen sollten also am Ende aussehen wie eine ewige Kette mit abwechselnden Vor- und Nachnamen direkt untereinander und parallel verlaufend.

Alle Namen wurden mit einer analogen Filmkamera abgelichtet, so sollte ein zehnminütiger Film entstehen, in dem 24 Namen pro Sekunde gezeigt würden. Alle Nachnamen wurden in alphabetischer Reihenfolge auf die Tage des Schreibvorgangs aufgeteilt, so dass Tag eins beispielhaft mit allen Familiennamen begann, die mit einem A, einem B und einem C starteten.

Am letzten Tag, Sonntag dem 30. August, fand die Abschlussveranstaltung im Haus am Dom statt, Veranstalter des Projektes war hier die Katholische Akademie Rabanus Maurus.

Bei einem Schreibfehler, bat Rabow darum, den Namen nicht hektisch durchzustreichen, sondern in Ruhe in eine Notfallspalte direkt unterhalb der Namensreihen eine neue Abschrift anzufertigen. Einige Asphaltabschnitte gestalteten sich aufgrund ihrer älteren Beschaffenheit schwieriger als andere, einige Namen forderten ein mehrfaches Nachfahren der Striche und Kurven einiger Buchstaben. Mal brach die Kreide in der Mitte durch, weswegen schnell die Ersatzkreiden zum Einsatz kamen, mal rutschten die Knieschoner zu weit nach unten und leichte Knieschmerzen und Nackenbeschwerden von der ständigen Beugehaltung bahnten sich an.

Das Knien vor den geschriebenen und noch zu schreibenden Namen inmitten von Spaziergängern, Schaulustigen, und der Presse hatte etwas Ehrfürchtiges und Demütigendes; Mitten im Leben mussten die Namen derer geschrieben werden, die gehen mussten und Berichten zufolge unter den Nationalsozialisten dazu gezwungen wurden erniedrigende Arbeiten zu verrichten, wie mit einer Zahnbürste den Asphalt zu säubern, ebenfalls kniend.

Die mündliche Kommunikation wurde in meiner persönlichen Erfahrung geprägt von positiver Resonanz, neugierigen Blicken oder auch die sich wiederholende Frage: „Sag‘ mal, was macht ihr hier eigentlich?“ Worte des Lobes wurden mehrfach ausgerufen, geraunt oder einfach nur durch ein freundliches Nicken kommuniziert.

Margarete Rabows Intention, wie sie es mir selbst erzählte, waren keine plakativen Erklärungen für Umstehende. Sie wollte die Neugier der Menschen nutzen, um sie aktiv in das Projekt einzubinden.

Jedoch kam auch ein Herr auf mich zu und fragte, ob man nicht endlich einmal mit dieser Sache abschließen könne, es gäbe doch genug andere Probleme. Er schien verärgert über die Sperrung der Straße für Radfahrer und gab mir zu verstehen, er halte nichts von diesem Gedenkprojekt. Ein weiterer Grund für einen respektvollen Umgang mit den Hinterbliebenen, wie ich ihm entgegnete. Seine stumme Antwort war das Überqueren der geschriebenen Namen mit seinem Fahrrad: Mit Nachdruck trat er auf das Geschriebene, was die Kreide der letzten von mir geschriebenen Namen leicht verwischte.

III. Die restlose Erfassung

„Die Ermordung von Millionen Juden ist so intensiv untersucht worden wie kein anderes zeitgeschichtliches Thema – aber die bürokratisch-wissenschaftlichen Techniken der NS-Herrschaft blieben lange aus der Analyse ausgeklammert. Wohl auch deshalb, weil sie in vielerlei Hinsicht die normalen, […] aber durchaus nicht anrüchigen Methoden des modernen Staates sind.“8

Die in Grundzügen dargestellte Skizzierung der bürokratisch-rationalen Strukturen des Nationalsozialismus mit Berücksichtigung politisch-ethischer Fragen nach Erfassung persönlicher Daten vonseiten des Staates und der Statistiker im Dritten Reich wird von den beiden Historikern Götz Aly und Karl Heinz Roth in Die restlose Erfassung in einen Zusammenhang gebracht, der damals die administrative Sortier- und Erfassungstechniken der Daseinsberechtigung verschiedener Menschengruppen gegeneinander abwägte.

Die physische Vernichtung ganzer Völker, Hauptziel der Nationalsozialisten für eine angeblich leistungsstarke, deutsche Gesellschaft, sei die plausible Schlussfolgerung im nationalsozialistischen Deutschland für all diejenigen gewesen, die eine durchweg negative Leistungsbilanz erzielten und somit tote Kosten verursachen würden.9

Der Angriff auf das Lebensrecht aller Hilfsbedürftigen, Kriegsopfer, Rentner, Menschen in Heil- und Pflegeanstalten, Menschen mit vererbbaren Krankheiten und den „Asozialen“, auch bekannt unter dem Stichwort „Euthanasie“ sei von den Nationalsozialisten so begründet worden, dass sich die Leistungsbilanz der „Nutzlosen“ für eine starke und gesunde Gesellschaft nicht rentieren würde und diese Menschen demnach sortiert und vernichtet, „desinfiziert“, mit Heinrich Himmlers Worten „durch[geschleust]“ werden müssten. Die beiden letzten Begriffe meinten die Ermordung dieser Menschen. All dies geschah nach wie vor mit penibler, bürokratischer Genauigkeit.10

Nie seien in Deutschland so viele bürokratische Gutachten, Kartotheken und Register über einzelne Menschen festgeschrieben und angefertigt worden, wie in diesem Jahrzehnt.11

Die Frage nach der Sortierung der Juden, die nach dem NS-Regime ebenfalls und vor allem in die Kategorie der Unbrauchbaren fielen, habe mit der Volkszählung vom 16. Juni 1933 begonnen: „Für alle Personen, die sich zu einer jüdischen Religionsgemeinschaft bekannten, wurde „eine Abschrift der allgemeinen Zählkarte“ angefertigt.“12

Diese Zählung habe bezweckt, die biologischen und sozialen Verhältnisse des Judentums im Deutschen Reich zu überblicken und zugleich eine Umgestaltung der Stellung des Judentums in Deutschland durch die nationalsozialistische Regierung ins Rollen zu bringen.

Erst nach und nach mit dem ersten Erlass des Reichsbürgergesetzes 1935 sei eine Unterteilung der „Volljuden“ und der „Geltungsjuden“ durchgesetzt worden, eine amtliche Sortierung des jüdischen Abstammungsgrads von „Halbjuden“ und „Vierteljuden“, um die sogenannte „Mischrasse“ zu beseitigen. 1933 seien rund 500.000 Menschen zugehörig zur jüdischen Religion in Deutschland gezählt worden, darunter 99.000 ausländische Juden, was einem prozentualen Anteil von 0,76 Prozent der Gesamtbevölkerung entsprochen habe. Auffällig hierbei sei gewesen, dass sich die 1933 ermittelten 500.000 Menschen seit der Volkszählung von 1925 um 65.000 Menschen verringert habe. Grund dafür sei nach den Statistikern selbst die Abwanderung vieler jüdischer Menschen gewesen, als die politischen Verhältnisse in Deutschland die Vertreibung der Juden mit jedem neu beschlossenen Gesetz stärker gefördert habe.13

Am Ende des Jahres 1939 waren alle jüdisch klassifizierten Bürger erfaßt und mehrfach registriert, desgleichen diejenigen, die teilweise jüdischer Abstammung und mit einem Juden verheiratet waren. Lebensalter, Beruf, Einkommen, Wohnsitz, weitere Familienmitglieder, Fruchtbarkeit, Bild, Fingerabdruck, Handschrift waren in einer Weise dokumentiert, die einerseits ausweglos und andererseits sauber und korrekt erschien.14

Diese Zwangsregistrierungen, Zählungen, gekoppelt mit Melde- und Ausweiszwängen seien die bürokratischen Grundlagen der späteren Deportationen gewesen.15

Die deutsche Verwaltung habe auf mehrere Art und Weise versucht, die Juden aus Deutschland zu vertreiben: Die „Dezimierung der Volkszahl durch Abwanderung auf Zeit (Saisonwanderung)“16 in Form von massenhafter Aushebung von Zwangsarbeitern für die deutsche Rüstungs- und Landwirtschaft sei eine dieser Taktiken gewesen, um die effiziente Um- und Aussiedlung von Hundertausenden von Menschen zu begründen. Hierbei seien die Namen der vielen Jüdinnen und Juden, aber auch der anderen Opfer des Holocaust durch bloße Ziffern ersetzt worden. Im Zuge dieser Feststellung stellen Aly und Roth die Frage, ob „nicht schon in der Abstraktion des Menschen zur Ziffer ein fundamentaler Angriff auf seine Würde […]“17 bestehe.

Die Würde des eigenen, persönlichen Namens war dem NS-Regime, in dem die bürokratische Entmenschlichung stattfand, kein Anliegen.

IV. Ein Jahr später: Filmpremiere und Podiumsdiskussion

Zu Beginn der abendlichen Veranstaltung im Jüdischen Museum am 11. Juli 2021 äußerte der stellvertretende Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt Herr Dr. Werner Hanak einige Worte des Dankes und des Willkommens. Anschließend überreichte er Margarete Rabow das Mikrofon, die ihrerseits nach einigen Worten der Begrüßung, eine knapp gehaltene Einführung für den weiteren Ablauf des Abends vornahm.

Zu Beginn solle, so Rabow, nicht das gesprochene Wort im Vordergrund stehen, sondern der siebzehnminütige Dokumentarfilm als eine Art Making-of mit der direkt im Anschluss folgenden Filmvorführung des zehnminütigen Gedenkfilms 11.90818, wie Rabow unterstrich: „zehn bedeutsame Minuten Film.“

Abschließend solle Zeit für eine Podiumsdiskussion zwischen der Künstlerin, dem Kulturdezernenten der Jüdischen Gemeinde Frankfurt Herrn Marc Grünbaum, sowie Herrn Dr. Hanak als Moderator entstehen, in der Fragen, Anregungen und Interpretationen für Zuschauer und die drei Podiumsteilnehmer diskutiert und beantwortet würden.

Einigen Corona-geschuldeten Komplikationen zufolge habe der stellvertretende Stiftungsdirektor der Gedenkstätte Buchenwald, Herr Philipp Neumann-Thein, nicht teilnehmen können, sowie die eigentliche Moderatorin der Veranstaltung Frau Dr. Daniela Kalschauer.

Unter den knapp dreißig Zuschauern befanden sich jedoch andere Gesichter der Zusammenarbeit, wie die Leiterin des Kulturamts in Frankfurt Sybille Linke, oder Eva Kneer die Filmemacherin von 11.908. Kneer sei nach Rabows Aussage bis dato die einzige gewesen, die den Gedenkfilm in seiner Gesamtheit gesehen habe.

Nach den siebzehn Minuten Making-of, in denen vor allem die Organisation und die Abläufe an den verschiedenen Tagen der Projektwoche gezeigt wurden, wurde ein stiller Übergang zum eigentlichen Film vorgenommen. Zu sehen waren für zehn Minuten einzig und allein die rasante Bildabfolge der 11.908 geschriebenen Namen, 24 Bilder pro Sekunde, die verschiedenen Handschriften der Schreiber ineinander verschwimmend und nur getragen von einem einzigen durchgängig gehaltenen Ton: einem Fis.

Nach den abgelaufenen zehn Minuten füllte eine tiefe Betroffenheit den Raum und niemand regte sich, bis Margarete Rabow aufstand, um einige Reaktionen aus dem Besucherbuch vorzulesen, die direkt im Anschluss an die Schreibarbeit entstanden waren. Diese warmen Worte der Begeisterung über das Projekt ließen den Raum aufatmen und bald stellte Herr Grünbaum die Frage in den Raum, weshalb die Namen nur bloß so schnell hintereinander eingeblendet worden seien, man habe gar keine Zeit gehabt, sie nacheinander zu würdigen. Rabow erklärte daraufhin die gewollte Dimension dieser speziellen Verdichtung: Man habe zu Hunderten fünf Tage ohne Unterlass geschrieben, nur um dann 11.908 Namen vorbeiflimmern zu sehen, ohne sie richtig lesen zu können, weil es zu viele waren. Das habe etwas Erschreckendes und würde das furchtbare Ausmaß der hohen Opferzahl besser verdeutlichen, als ein mehrstündiger Film mit langsam eingeblendeten Namen, der nach spätestens einer Viertelstunde bei dem Großteil der Zuschauer ein Desinteresse hervorgerufen hätte. So wirke vor allem das Unvermögen, alle ermordeten Menschen zu Erfassen. Man hätte den Film verlangsamen können, aber so war es nicht gedacht.

Auch bringt Rabow ihre Faszination über die verschiedenen Handschriften, manche rund, manche schräg, manche in Schreibschrift, manche spitz, zum Ausdruck und weist darauf hin, dass trotz der Geschwindigkeit manchmal ganze ausgelöschte Familien auszumachen seien, was tiefste Trauer auslöse.

Die Liste der Namen für den Film fußte auf den Deportationslisten der Nationalsozialisten, also von den Menschen angefertigt, die eine reibungslose Abwicklung der Tötung von vielen Jüdinnen und Juden durchzusetzen versuchten. Weitere tausende Namen, auf die man nie stoßen wird, würden deshalb nach wie vor verborgen bleiben, was bis heute eine unermüdliche Nachforschung zur Folge habe, auch wenn das Jüdische Museum eine eigen angefertigte Deportationsliste führt und weiterhin vervollständigt.

Im Anschluss an diese Feststellungen entstand eine Diskussion über den Akt des Hinkniens, was von Rabow mit einfacher Zweckmäßigkeit beantwortet wurde. Es habe nichts Religiöses ausdrücken wollen oder andere Formen der Demut oder des Erniedrigens. Allerdings lasse sie hier dennoch gerne offenen Raum für persönliche Interpretationen. Das Wichtige sei, dass die Schreibenden den Akt des Kniens für eine Stunde auf einer bekannten Frankfurter Straße nicht so schnell vergessen würden. Außerdem sei das Hinknien eben die praktischste Art und Weise seinen Körper vor dem Asphalt zu positionieren.

Zuletzt stellte ich bei der offenen Runde die Frage, weshalb gerade das Fis gewählt worden sei, welches von einigen Streichern des hr-Symphonieorchesters für den Film zehn Minuten am Stück eingespielt wurde.

Für Margarete Rabow sei das Fis zunächst einfach ein schöner Ton gewesen. Da sie selbst Geige gespielt habe, wisse sie, dass es für zehn Minuten anstrengend sei, eine Saite spielend gedrückt zu halten. Genau diese Anstrengung habe sie jedoch beabsichtigt, denn es sei ihr ein Anliegen gewesen, dass keine leere Saite gespielt würde.

V. Fazit

Ein ephemeres Projekt zu begleiten, welches trotz seiner Vergänglichkeit bewegt und verändert, scheint eine wichtige Erkenntnis für mich gewesen zu sein. War doch zuvor meine Einstellung, die Arbeit an einer einmaligen Aktion würde auch bei einem einmaligen Gedenken in den Köpfen der Mitschreibenden bleiben, mit der Zeit in den Hintergrund rücken und verblassen, wie die Kreide auf der Straße. Doch das öffentliche Schreiben und das Sichtbarmachen eines ausgelöschten Lebens durch die vielen Eigennamen aktivierte über 300 Menschen, Teil von einer Gemeinschaft zu werden, die Acht gibt auf die Vergangenheit, sich für einige Stunden aus der Gemütlichkeit ihrer eigenen vier Wände löst und sich freiwillig für ein zu Unrecht vernichtetes Leben hinkniet und schreibt – mit oder ohne persönlichen Bezug zu den Opfern.

Die Verbindung aus vielen schriftlichen und mündlichen Medien – die weiße Kreide, das Abhaken von Namen mit einem Kugelschreiber, die angewandten Körpertechniken und Bewegungsabläufe während des Schreibens, die analoge Kamera, die Presse mit Mikrofonen, Filmkameras und Notizblöcken, die mündlichen Medien der Umstehenden im ständigen Austausch – sorgten für eine neue Form der Archivierungsprozesse, Prozesse der Vergegenwärtigung einer tiefen Trauer in einer modernen Welt, die noch immer mit Ausgrenzung, Hass und Fremdenfeindlichkeit zu kämpfen hat.

Das Abschreiben an sich, ein mechanischer, sinnbefreiter Vorgang, wurde an diesem Tag für mich zu einem besonderen Ablauf, nicht nur als ich in der Liste Personen mit meinem eigenen Nachnamen sah, auch, als in dem Film ein knappes Jahr später die endlose Liste an abfotografierten Namen an meinen Augen vorbeiflimmerte, zu schnell um sie alle zu erfassen. All dieser Aufwand, jeder einzelne Kreidestrich, jedes Foto richtete sich gegen die Bürokratie des Massenmordes, weshalb Margarete Rabows vergängliches Sichtbarmachen den entmenschlichten Opfern ihre Würde vollkommen zurückgegeben hat.

VI. Literatur

Aly, Götz / Roth, Karl-Heinz: Die restlose Erfassung. Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im Nationalsozialismus, Berlin 1984.
Klemens, Ilona u.a.: …Zu Eurem Gedächtnis: Visual History. Das DKR-Jahresthema 2021 in Gesellschaft, Schule und Gemeinde, in: Themenhefte des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V., 2021.

https://schreiben-gegen-das-vergessen.eu/, zuletzt aufgerufen am 21.07.2021, 14:56 Uhr.
https://margarete-rabow.de/ , zuletzt aufgerufen am 21.07.2021, 14:57 Uhr.

VII. Eidesstattliche Erklärung

Ich habe diese Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst. Ich habe keine Texte kopiert und sie als meine eigenen ausgegeben. Zitate und Paraphrasierungen wurden entsprechend den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis kenntlich gemacht. Die Quellen meiner Informationen sind vollständig und korrekt aufgelistet. Diese Erklärung schließt auch im Internet zugängliche Daten ein. Außerdem habe ich diese Arbeit, oder Teile dieser Arbeit nicht in einer anderen Veranstaltung eingereicht. Mir ist bewusst, dass bei Missachtung dieser Regeln Maßnahmen ergehen werden.

 

 

Bad Soden am Taunus, den 21. Juli 2021

VIII. Fotogalerie

 

1 Klemens, Ilona u.a.: …Zu Eurem Gedächtnis: Visual History.
2 Aly, Götz; Roth, Karl Heinz: Die restlose Erfassung.
3 Internetquelle: https://schreiben-gegen-das-vergessen.eu/.
4 Ebd.
5 Mündliche Quelle: Margarete Rabow an der Filmpremiere vom 11.07.2021.
6 Ebd.
7 Internetquelle: https://margarete-rabow.de/.
8 Aly, Götz; Roth, Karl Heinz: Die restlose Erfassung. S. 163.
9 Ebd. S. 110.
10 Ebd. S. 121.
11 Ebd. S. 34.
12 Ebd. S. 67.
13 Ebd. 67 ff.
14 Ebd. S. 90.
15 Ebd. S. 98.
16 Ebd. S. 99.
17 Ebd. S. 16.
18 Kneer, Eva: 11.908.

Filmpremiere von „11.908“ und der Dokumentation zum Film von Eva Kneer

Filmpremiere von „11.908“ und der Dokumentation zum Film von Eva Kneer
Am 15. Juli im Jüdischen Museum Frankfurt.

Auch wenn coronabedingt nur wenige Besucherinnen und Besucher zugelassen waren… diese Plätze waren alle belegt.
Ich hoffe, dass es für alle Beteiligte, ob aus dem Team, fürTeilnehmende oder Interessierte ein besonderer Abend war.
Danke an das Jüdische Museum, insbesondere an Werner Hanak für die gute Vorbereitung und Sven Eigler für die Technik.
Einen besonderen Dank auch an Eva Kneer für die schöne und gelungene Dokumentation zum Film.

Foto: Felix Stent

Filmpremiere „11.908“ und der Dokumentation zum Film von Eva Kneer

Vom 23.-27. August 2020 schrieben über 300 Menschen die Namen der ermordeten Frankfurter Jüdinnen und Juden auf den Mainkai.

Nun sehen wir mit großer Freude der Filmpremiere entgegen und möchten Sie hierzu einladen!

Premiere „11.908“ und der Dokumentation zum Film von Eva Kneer

Am Sonntag, den 11. Juli 2021 um 19 Uhr
Im Jüdischen Museum, Berta Pappenheim Platz 1, Frankfurt

Mit anschließendem Gespräch:
Marc Grünbaum, Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde Frankfurt
Dr. Werner Hanak, stellvertretender Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt
Dr. Philipp Neumann-Thein, stellvertretender Stiftungsdirektor der Gedenkstätte Buchenwald
Margarete Rabow Künstlerin
Moderation: Dr. Daniela Kalscheuer, Haus am Dom

https://www.juedischesmuseum.de/fileadmin/user_upload/Bilder/Veranstaltungen_2021/programmheft-juni-august-2021.pdf

 

Foto: Gunter Deller, Sankt Pölten 2018

Filmpremiere „11.908“

Aufgrund der aktuellen Corona-Lage können wir immer noch keine Filmpremiere planen, auch wenn es derzeit schon Lockerungen gibt.

Voraussichtlich findet die die Erstaufführung des Films „11.908“ und der Dokumentation zum Film im Sommer 2021 statt.

Wir wünschen einen sonnigen Frühling und bleiben Sie gesund!



Filmpremiere „11.908“

Aufgrund der aktuellen Corona-Lage können wir derzeit keine Filmpremiere für 2020 planen.

Voraussichtlich findet die die Erstaufführung des Films „11.908“ und der Dokumentation zum Film Ende Februar 2021 statt.

Einen Ton für den Film „11.908“

Einen Ton für den Film „11.908“

Dreizehn Streicherinnen und Streicher des hr Sinfonieorchesters haben in der Alten Oper zur Vertonung des Films „11.908“ zehn Minuten lang einen einzigen Ton eingespielt.

Danke den Musikerinnen und Musikern, insbesondere Elena Trifonova und Peter Zelienka für die Organisation und dem Tonmeister Philipp Knop für die gute Mischung!

Violine: Florin Iliescu, Hovhannes Mokatsian, Wandi Xu, Kyong Eun Grace Lee, Stefano Succi, Peter Zelienka, Sonia Metzendorf, Rachelle Hunt

Viola: Igor Budinstein, Christoph Fassbender

Violoncello: Valentin Scharff, Ulrich Horn

Kontrabass: Yi-Hsuan Chiu


Foto: Elena Trifonova